Wissen

Im Umgang mit Vielfalt und Beziehungsgestaltung kommen einige Begrifflichkeiten und Konzepte immer wieder vor. Einigen wollen wir hier Beschreibungen folgen lassen, die unser Verständnis und unsere Einstellungen zu diesen Themen im Allgemeinen deutlich werden lassen.

  • Gemeinschaft
  • Beziehungsgestaltung
  • Ich / Du / Wir / Kontext

Gemeinschaft

In der Soziologie existiert eines diffiziles Begriffsinstrumentarium, um das Zusammenleben von Menschen zu beschreiben. „Gemeinschaft“ ist dabei neben „Gesellschaft“, „Netzwerk“, „Groß- und Kleingruppe“, „Milieu“ und weiteren nur ein Begriff unter vielen. Wir werden trotzdem, auch wenn es wissenschaftlich nicht ganz korrekt ist bzw. damit Feinheiten übergangen werden, so oft wie möglich von „Gemeinschaft(en)“ sprechen, wenn wir Menschen in kleinen, größeren oder großen abgegrenzten oder nicht abgegrenzten Zusammenhängen betrachten. Dies hat vor allem drei Gründe.

Für uns drückt, erstens, dieser Begriff am stärksten das Emotionale aus, das das Soziale beinhaltet.

Zweitens drückt dieser Begriff, ausgehend von dieser emotionalen Aufgeladenheit, ebenfalls den vielen Menschen innen liegenden Wunsch nach Zusammengehörigkeit mit anderen Menschen aus.

Und drittens verdeutlicht der Begriff in seiner skalierten Form als Weltgemeinschaft unsere zugrunde liegende Hypothese, dass wir als solch eine Weltgemeinschaft gezwungen sind, miteinander auszukommen. Niemand auf dieser Welt wird einfach so verschwinden, auch keine Religion, kein politische Ausrichtung, kein ideologisches Gedankensystem. Man kann eventuell kurz- oder gelegentlich auch langfristig den direkten Kontakt zu bestimmten Personen, Volksgruppen oder Nationen meiden, aber über unsere eng miteinander verknüpfte Welt sind wir, ob wir dies wollen oder nicht, auf irgendeine Art und Weise alle miteinander verbunden und somit auch voneinander abhängig. Jede neue Krise demonstriert dies mehr als deutlich. Und jede neue Krise demonstriert ebenfalls, dass die Lösungen nicht im Gegeneinander – die diese Krisen eher noch verschärfen, sondern ausschließlich im Miteinander zu finden sind.

Eine Erde, acht Milliarden Individualitäten, ein einzigartiges, besonderes Beziehungsgeflecht. Oder um es mal mit einem deutschen Sprichwort zu sagen: Man trifft sich immer zwei Mal.
Wir möchten Beziehungen und deren Gestaltung als einen entscheidenden Baustein im Gelingen von (Welt)Gemeinschaft fördern. Dabei geht es uns um einen Bewusstseinswandel dahingehend, dass in einer Gemeinschaft – von vornherein und permanent – auch auf die Gemeinschaft als Ganzes geachtet wird. Ja, es geht um eine erhöhte Bewusstheit über die Bedeutung von Beziehungen. Viele glauben, dass die Fähigkeit zu sprechen schon ausreichend ist. Aber das ist weit gefehlt. So wie wir lesen und schreiben lernen und darin immer besser werden, können wir auch unsere Beziehungsfähigkeit verbessern. Und die beginnt, wie vieles, im Denken darüber. Denn erst wenn an alle gedacht wird, ist an jeden gedacht. Dann wird niemand vergessen, auch nicht die Stillen, Leisen und die ohne Sprache. Und erst dann findet sich im Managen der Vielfalt ein Platz für jeden und jede

Beziehungsgestaltung

Beziehungen bzw. die Qualität von Beziehungen lassen sich beeinflussen und unsere Fähigkeit, sie zu gestalten, ist deutlich verbesserbar.
So wie auch Wettbewerb ein erlerntes Phänomen ist und Kooperation als das wiederholbare Produkt einer gemeinsamen Anstrengung betrachtet werden kann, sind Menschen auch Beziehungen nicht passiv ausgeliefert.
Beziehungen geschehen nicht einfach. Beziehungen werden gemacht. Von uns allen. Beziehungen verändern zu wollen, bedingt, um einmal mit Jesper Juul zu sprechen, die Entscheidung, soziale und persönliche Verantwortung übernehmen zu wollen.

Mit dieser Entscheidung erhöht man den ethischen Aspekt der Beziehungsgestaltung und wird der weit reichende soziale und politische Horizont sichtbar. Denn die persönliche Verantwortung umfasst Verantwortung für unsere physische, psychische, mentale und spirituelle Gesundheit und Entwicklung. Und die soziale Verantwortung bezieht sich zwar konkret stets auf die Situation und die Verantwortung für das unmittelbare Gegenüber. Da aber dieses „Du“ wechselt und uns in der Familie, im Unternehmen, in verschiedenen Gruppen, in denen wir uns bewegen, begegnet, aber auch – sprichwörtlich – auf der Straße begegnen kann, können und sollten wir Verantwortung für unser zukünftiges Handeln und unsere Integration in das Soziale übernehmen. Unsere Entscheidung darüber, wie wir selber Beziehungen aktuell oder zukünftig gestalten wollen, hat Konsequenzen für unser Zusammenleben und das Aussehen der jeweiligen Gemeinschaft.

Und auch wenn es unabhängig von den Personen und den Situationen, die an einer Beziehung beteiligt sind, keine „allgemeingültige Technik der Beziehungsgestaltung“ gibt, existieren praktische Herangehensweisen und theoretische Überlegungen, was zu beachten ist, sollen Beziehungen gelingen und günstige Bedingungen für Beziehungen entstehen.

Das Ich

Die Beziehung zu sich selbst ist eine besonders entscheidende, da sie nicht nur den Umgang mit sich selbst bestimmt, sondern auch den Umgang mit anderen. Jede Beziehung fängt mit dem Ich an. Jedes einzelne Ich hat dabei die Verantwortung für die Beziehung zu sich und anderen. Dies bedeutet, dass das Ich persönliche Verantwortung für seine eigenen Gefühle und nicht für die Gefühle von anderen übernimmt. Des Weiteren ist dem Ich bewusst, dass es ein Gefühl hat, aber selbst kein Gefühl ist.
Auch wenn die Einflüsse vielfältig sind, die das Ich im Rahmen von Beziehungen zu verarbeiten hat, ist die wichtigste Person in der Beziehung das einzelne Ich, denn nur dieses weiß,
was es von sich selbst und von den anderen will,
wofür es verantwortlich sein möchte und wofür nicht,
dass niemand anderes als es selbst für sich verantwortlich ist,
dass nur es selbst sich den anderen zeigen kann.

Das Du/die Anderen

Ohne das Du gibt es keine zwischenmenschliche Beziehung. Erst das Du ermöglicht es dem Ich sich als solches wahrzunehmen. Auf der anderen Seite öffnet das Du die Welt für das Ich, vergrößert die Reflexionsfläche und verhilft dem Ich dazu, das Andere auf der Welt wahrzunehmen und diese sowie das Leben aus einer weiteren Perspektive zu sehen und Verschiedenheit und Andersartigkeit wahrzunehmen. Erst das Du ermöglicht es dem Ich zu verstehen, dass es mehr als nur einen Weg gibt, die Wirklichkeit zu sehen.
Erst das Du stellt dem Ich die für eine Beziehung wichtigen Fragen wie:
Bin ich in Beziehung und woran merke ich, dass ich in Beziehung bin?
Werde ich vom Du gesehen bzw. was müsste ich tun, damit dies geschieht?
Sehe ich das Du bzw. was müsste geschehen, damit ich es sehe?

Das Wir

Das Wir ermöglicht dem Ich trotz der Unterschiede zwischen dem eigenen Selbst und dem Du das Gemeinsame wahrzunehmen. Das Wir ist das eine Gemeinschaft im Inneren Verbindende. Das zu erschaffen, ist eine enorme Herausforderung, die von uns mitunter hohe Managementfähigkeiten von Vielfalt abverlangt. Hier liegt der Grund für gute und schlechte Gruppenerfahrungen, die jeder bereits erlebt hat. Das Wir stellt das Ich auch vor wichtige Fragen:
Was zeichnet ein gutes Wir aus?
Was ist meine Rolle/meine Funktion/meine Aufgabe im gemeinsamen Wir?
Wie viel von mir Selbst verträgt das Wir?
Und wie viel des Wir kann ich zulassen, damit das Ich noch erkennbar bleibt?
Wie viel Ich kann ich aufgeben?
Wie kann ich meine Grenzen finden und setzen?
Was kann ich dazu beitragen, damit die Gruppe stärker „zusammenwächst“?

Der Kontext

Der Kontext hilft dem Ich zu verstehen, dass unterschiedliche Situationen und Bedingungen unterschiedlich wirken können auf das Wir, das Du und das eigene Selbst und sich dadurch Qualitäten von Beziehungen verändern können. Der Kontext verdeutlicht dem Ich noch einmal, dass trotz äußerer Veränderungen die Konsequenzen darauf immer beim Ich liegen, und das der Kontext nicht einfach vom Ich vorgefunden wird. Der Kontext wird gestaltet. Im sozialen Kontext wird dies besonders sichtbar: Wir gestalten Gesetze, Regeln, Arbeitsbedingungen, Bewertungskriterien etc. Wir können diese nun akzeptieren oder nicht. Und je nach Wahrnehmung des Kontextes und der Positionierung dazu können wir eintreten in das Feld der aktiven Kontextbestimmung.
Der Kontext, so abstrakt er auf den ersten Blick wirkt, wirft bedeutsame Fragen für unser Miteinander auf:
Welche Einstellung habe ich zu dem mich Umgebenden (z.B. offen oder ängstlich)?
Welche Beziehung habe ich zu dem mich Umgebenden (z.B. fördernd, zerstörend, aktiv, passiv)?
Welche Bedingungen erschweren es mir in eine gelingende Beziehung zu gehen, ob zu sich selbst oder zu anderen?
Welche äußeren Bedingungen unterstützen es, mich in einer Beziehung gut zu fühlen?
Welche Verantwortung nehme ich mir in Bezug zum Kontext? Akzeptieren ich ihn? Will ich ihn bewusst gestalten?